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Nach einer siebenjährigen Pause kehrt Aktan Arym Kubat zurück auf die grosse Leinwand, sowohl als Regisseur als auch Schauspieler mit dem Film „Centaur“ (deutscher Titel: „Die Flügel der Menschen“). Er erzählt eine allegorische Geschichte über das Leben von Mensch, Tier und Natur zwischen Glauben und Aberglauben, Moderne und Tradition. Nach der Premiere bei der Berlinale hat er den Film nun zusammen mit dem Verleih in mehreren deutschen Städten,

darunter Berlin, Hamburg, Leipzig, Dresden, Potsdam und Halle, vorgestellt. Ab 28.12.2017 gibt es in Berlin die Chance, dieses neue und beindruckende Kunstwerk im Kinotheater in den Hackeschen Höfen im regulären Programm zu sehen http://www.hoefekino.de/. Ich hatte das Glück, Aktan Arym Kubat wieder in einigen Kinos begleiten zu können und durfte für ihn beim Q&A übersetzen. Nachdem wir im Vorfeld bereits für den Film auf unserer Webseite geworben haben, wollte ich  diesmal keine Rezension im eigentlichen Sinne schreiben, sondern auf einige interessante Fragen des Publikums und die entsprechenden Antworten des Regisseurs eingehen. Entsprechend möchte ich hier die fünf wichtigsten, beziehungsweise interessantesten, Fragen und Antworten aus dem Gedächtnis zusammenfassen. Sie werden vielleicht auch Euch als zukünftigen Zuschauern etwas mehr Hintergrundinformationen geben. 

Zunächst aber nochmal kurz zum Inhalt:
Ein sonderbarer Kauz führt mit seiner taubstummen Frau und seinem kleinen Sohn in einem entlegenen Dorf in Kirgistan eigentlich ein beschauliches Dasein. Er verdient seinen Unterhalt beim Bau. Aber in seiner freien Zeit betätigt er sich als Pferdedieb: Er stiehlt die edlen Rösser, reitet sie in die Freiheit und lässt sie in den offenen Bergtälern frei, bis sie dort dann von ihren Besitzern wieder eingefangen werden. Er ist geleitet von der Sorge, dass die Kirgisen mit der Zeit ihr ursprüngliches, vom Gott gesegnetes Glück verloren haben, als ihre Identität noch mit den anmutigen Tieren verwoben war. Die Pferde – einst ein fester Bestandteil des kirgisischen Nomadentums – wurden zur Ware und zum Statussymbolen der Reichen. Der stille Rebell glaubt fest daran, dass das verlorene Glück des Volkes zurückkommt, wenn er beim Reiten die Ahnen der Pferde Kambar Ata um Gnade bittet und die edlen Tiere freilässt. Jedoch hat sein Untergrund-Kampf irgendwann ein Ende, die Dorfhonoratioren entscheiden, dass er zur Räson gebracht werden muss, und zwar durch die Bekehrung zum Islam. Als er aber immer weiter rebelliert und seinen Kampf erneut aufnimmt, nimmt sein Schicksal eine tragische Wende.

1. Sie sind bekannt für poetische Filmgeschichten, was ist diesmal Ihre wichtigste Botschaft?

Meine Botschaft ist diesmal der Aufruf zur Rückbesinnung auf unsere Kultur, Kunst und Tradition. Ich warne mein Publikum vor dem Abdriften in das Absurde und Extreme durch äußere Einflüsse und Gehirnwäsche und plädiere für ein Bewahren unserer nationalen Identität und Werte.

2. Ist Ihre Botschaft auch als Kritik an der aktuellen Islamisierung zu verstehen? 

Ja, so ist es unter anderem. Ich betrachte den Islamisierungsprozess, der heutzutage in der kirgisischen Gesellschaft stattfindet, teilweise mit Besorgnis. Denn diese Form der Islamisierung ist manchmal fremdbestimmt und daher nicht unbedingt mit dem traditionellen Glaubensverständnis der Kirgisen kompatibel. Es ist nicht der tolerante Volksglaube, mit dem ich groß geworden bin und bisher gelebt habe. Ich nenne es schlichtweg Arabisierung: immer mehr Männer laufen in langen Gewändern herum, benutzen arabische Wörter und Begriffe, drängen wie im Film dargestellt, jederman zu strenger Einhaltung religiöser Gebote. Man sieht immer mehr Frauen mit Hidjab oder sogar Burka auf der Straße – eine uns fremde Tradition. Die kirgisischen Frauen waren immer gleichberechtigt und haben offen ihr Gesicht gezeigt, nun sollten sie sich auf einmal dem männlichen Diktat unterordnen. Obwohl wir in einem säkularen Staat leben, wo religiöse Vielfalt herrscht und die individuelle Religionsfreiheit durch die Verfassung gewährleistet ist, dominiert zur Zeit eine gewisse Tendenz ins Extreme, Paradoxe und Unlogische.

3. In Kirgistan ist die Gesellschaft ja vorwiegend muslimisch geprägt, wo sehen Sie die größten Unterschiede und Konfliktpunkte zwischen dem altgewohnten und dem neuhinzukommenden Islam?

Ich sehe den Konflikt alltäglich in der Bekleidung der Männer und Frauen, in ihrem Umgang miteinander, in der Moralpredigt, was alles verboten werden muss. Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben: Bei den Kirgisen gibt es seit Ewigkeiten die Tradition der Klagelieder (koshok) während der Trauerfeier. Es ist ein wichtiges Element des kirgisischen Totenkultes und des Beerdigungsrituals, die gesamte Lebensgeschichte des Verstorbenen wird besungen und die Trauergäste werden an die besten Eigenschaften und die guten Taten des Verstorbenen erinnert. Es ist eine Art Hommage. Die heutigen Mullahs verbieten es nun als unislamisch.  
Ich möchte gerne eins klarstellen, ich bin ein toleranter Mensch, der allen Weltreligionen offen gegenüber steht. Die Religion und ihre Ausübung empfinde ich als etwas sehr individuelles, privates. Mein Glaube ist in der Filmkunst, hier suche ich auch nach Gott. Aber ich würde meine Überzeugung niemandem aufdrängen.

Ein weiteres Beispiel ist das Dorfkino. Bis zu Beginn der 90er Jahre war die kirgisische Filmindustrie an die sowjetische gekoppelt und wurde dadurch auch gefördert. Nach dem Zerfall der Sowjetunion gab es keine Filmförderung mehr, die Kulturstätten wurden gerade auf dem Lande eine nach der anderen geschlossen. Das Kino in unserem Dorf wurde uns durch die Privatisierung weggenommen, kurz danach wurde es in eine Moschee umgewandelt. Heute gibt es in Kirgistan mehr Moscheen als Schulen. Es macht mich einfach traurig, zu sehen, wie dieses ideologische Vakuum in der post-sowjetischen Periode durch die Arabisierung gefüllt wird. 

4. Sie zeigen an einer Stelle, wie die Dorfältesten und religiöse Autoritäten sich zusammensetzen und über den Dieb gemeinsam ein Urteil fällen. Geht es dort um das Gewohnheitsrecht, wenn ja, wie funktioniert es parallel zu den staatlichen Institutionen? Gibt es möglicherweise Konflikte? 

Stimmt, da zeige ich einen Aspekt der kirgisischen Rechtskultur, der auch zunehmend islamisiert wird. Die Kirgisen hatten und haben sogenannte Ältesten-Gerichte. Diese Laiengerichte kommen wegen kleinerer Missetaten und von der Norm abweichender Verhaltensweisen der Dorfbewohner zusammen. Sie beraten sich, treffen eine Entscheidung zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens. So sorgen sie für Ruhe und Ordnung in der Dorfgemeinschaft. Da sie sich mit kleineren Delikten beschäftigen und die größeren, wie zum Beispiel Mord oder Totschlag, eher der staatlichen Rechtsprechung überlassen, gibt es kaum Reibungspunkte und Konflikte mit den Entscheidungen der geachteten Ältesten der Dorfgemeinschaft. Eine Islamisierung dieser Art der Rechtsprechung sehe ich durchaus kritisch.

5. Im deutschen Vertrieb hat man den Titel „Die Flügel der Menschen“ gewählt. Sie nennen den Film „Centaur“, ein etwas untypischer Titel für einen kirgisischen Film.  Liegt dem Film so eine mythologische Geschichte wie im „Weißen Dampfer“ von Tschingis Aitmatov zugrunde? Oder was möchten Sie ihrem Publikum mitteilen und was ist ihr persönliches Verhältnis zu den Pferden?

Es gibt kaum ein Epos, ein Märchen oder eine Legende bei den Kirgisen, wo es keine Pferde gibt. Das Nomadentum oder Kirgisentum beinhaltet automatisch Pferde. Ein Kirgise ohne Pferd ist unvorstellbar. Wir sind mit diesen wunderbaren Tieren durch und durch verbunden. Leider hat sich die Rolle der Pferde mit der Zeit gewandelt. Sie sind nicht mehr unsere Freunde, unsere Mitarbeiter in der Landwirtschaft, sondern Objekte zum Angeben und Schlachten für beliebige Tafelrunden. Soweit ich mich erinnern kann, wurden die Pferde früher nur bei Beerdigungen geschlachtet. Die Bedeutung lag darin, dass das geopferte Pferd den Verstorbenen wie auf Flügeln ins Jenseits begleiten sollte. Ich erlebe nun in den letzten zehn-fünfzehn Jahren, wie die Pferde massenweise zu jeder Art der Feierlichkeit geschlachtet werden. Ich besitze selbst keine Pferde, kümmere mich aber liebend gerne um die meines Bruders auf dem Lande. Seit gut 3 Jahren esse ich auch kein Pferdefleisch.


Der „Centaur“ aus der griechischen Mythologie ist ein Halb-Mensch und Halb-Tier. Ich wollte hier nur einige Sachen zum Ausdruck bringen: Wir sind zwar Menschen, aber was wir zu unserer Umwelt und zueinander manchmal antun, ist oft tierisch (falsch, skrupellos und verantwortungslos)

Dr. Mahabat Sadyrbek

Politikwissenschaftlerin/Rechtsethnologin
Vorstandsmitglied des Deutsch-Kirgisischen Kulturvereins

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