Saimaluu Tash und die Felsbildkunst Zentralasiens

In Zentralasien, insbesondere in Kirgistan, Kasachstan, Usbekistan, der Mongolei und den angrenzenden Gebieten in Sibirien, finden sich mehrere tausend Felskunststätten, zumeist der Bronzezeit (ca. 2500 bis 900 v.Chr.) mit bildlichen Darstellungen des Lebens und der Glaubenswelten der Vorzeit Zentralasiens bis zum Beginn des Mittelalters. Bilder wurden in glatte Felsflächen meist unter freiem Himmel mit Metall- oder Steinwerkzeugen gehauen oder geritzt. Durch intensive Sonneneinstrahlung wird der Fels, häufig Sandstein, mit einem glänzenden dunklen „Wüstenlack“ überzogen, in den die Bilder gehauen wurden.

Kirgistan ist durch Gebirge, kaum durch Steppenlandschaften oder Halbwüsten wie etwa Kasachstan oder Usbekistan geprägt, bietet also besonders gute Bedingungen für Felsbilder. Kirgistan hat die größte Dichte alter Felskunststätten Zentralasiens. Petroglyphen finden sich in Schuttfächern (Moränen) am Fuße von Bergen, aber auch im Hochgebirge in der Nähe von Pässen, oder auch auf Felsriegeln auf anstehendem Felsen. Eine Karte in Amanbaeva et al. 2011, 167 (s.u.) verzeichnet 83 kirgisische Felskunststätten, auch dies nur eine Auswahl.

In der Jungsteinzeit seit etwa 4000 v.Chr. wandelte sich die Lebensweise der Menschen von Jägern und Sammlern zu einem Leben als Hirten oder auch Ackerbauern. Zweirädrige, von Rindern oder Pferden gezogene Wagen gab es in der Steppe seit dem dritten Jahrtausend v. Chr. Saimaluu Tash hatte enge Beziehungen zur Induskultur, die Wagen dort wurden von Rindern gezogen. Die Wagen unterstützten großräumige Wanderungsbewegungen aus den Schwarzmeersteppen und Anatolien bis in die Mongolei, Sinkiang, Südsibirien, Indien und in fast alle Regionen Zentralasiens. Die meist zweirädrigen Wagen waren ein beliebtes Motiv in der bronzezeitlichen Felsbildkunst Zentralasiens. Der Mensch domestizierte Pferde, Rinder, Kamele, Ziegen etc., die mit Fleisch und Milchprodukten die hauptsächliche Lebensgrundlage bildeten. Diese Tiere dominieren die Felsbildkunst. In gebirgigen Regionen wechselte man zwischen Hochweiden und Winterweiden. Dieses Leben als Hirten und Viehzüchter, die aber auch der Jagd nachgingen, bestimmte die Bronzezeit von 2500 bis 900 v.Chr., und damit die Hochzeit der Felsbildkunst. Ab ca. 1000 v.Chr. lernte der Mensch Pferde effektiv zu reiten und konnte fortan große Entfernungen auf dem Pferderücken zurücklegen. In der Eisenzeit wurde erst der Sattel, dann die Steigbügel erfunden, die dem Reiter und Bogenschützen Halt gaben. Die nomadisierenden Reitervölker wie Skythen und Hunnen/Hsiungnu bestimmen das Leben im Zentralasien der Eisenzeit bis etwa 500 n.Chr. In der Eisenzeit nimmt die Zahl der Petroglyphen stark ab. Zhaltyrak Tash im Gebiet von Talas ist berühmt für seine eisenzeitlichen Felsbilder der Skythen. In Saimaluu Tash können höchstens 10% der Petroglyphen der Eisenzeit zugeordnet werden. 90% stammen aus der Bronzezeit.


Eine, vielleicht die größte Felskunststätte Zentralasiens, ist Saimaluu Tash in der Fergana Gebirgskette im südwestlichen Kirgistan. Die Fergana Gebirgskette trennt das tiefliegende Ferganatal von der Hochgebirgslandschaft des Tienshan. In Saimaluu Tash haben viele ethnische Gruppen über Jahrtausende Bilder hinterlassen. Die Vielzahl der Stile ist beeindruckend, eine genaue Datierung kaum möglich. Typisch ist der bitrianguläre Stil mit Wespentaille. Über 100.000 Einzelbilder auf mehr als 10.000 Steinen wurden in einer Höhe von ca. 2900m bis 3500m bisher gefunden. Die Bilder finden sich auf einzelnen Felsbrocken in langen Steinströmen und Blockmeeren, die sich vom 3635m hohen Hausberg nach Osten in zwei Seitentälern hinabziehen. Saimaluu Tash ist nur wenige Wochen im Sommer zugänglich und sonst von Eis und Schnee bedeckt. Ein mehrstündiger Fußmarsch oder Ritt führt aus dem Tal hinauf zu den Petroglyphen.

„Saimaluu Tash“, die „Bebilderten Felsen“ um 1902 von russischen Kartographen entdeckt, den kirgisischen Nomaden aber seit Jahrhunderten bekannt, war keine gewöhnliche Felskunststätte. Es war ein sakraler Raum. Hiervon zeugen die Darstellungen sonnenköpfiger Figuren mit Menschenleib und anderen mythischen Gestalten. An vielen Felsen werden Tänzer mit in die Höhe geworfenen Armen dargestellt, oft zwei Männer, die sich gegenüberstehen, offenbar Teil von Ritualtänzen. 

Auch viele Tiere, wie das Rind mit „Sonnengehörn“ oder langgestreckten Hörnern, wurden wie noch in Indien heute, vergöttlicht oder waren Totemtiere einer Familie, eines Stammes. In Saimaluu Tash werden Rinder viel häufiger dargestellt als Pferde. Rinder ziehen auch die meisten Wagen, nur selten in späteren Darstellungen Pferde. Wagen werden meist nur stark reduziert auf zwei Räder und Deichsel dargestellt.

Der Steinbock spielt eine große Rolle. So taucht er über einer Kopulationsszene auf, wie überhaupt mehrere Szenen mit sexuellem Inhalt zu sehen sind. Hirsch oder Rind werden oft mit überlangen Geweihen bzw. Hörnern dargestellt. Manche Hirsche haben bis zu vier große Geweihstangen.

Jagddarstellungen sind häufig. Der Jäger trägt meist einen großen Bogen oder auch Steinschleudern oder Knüppel. Kampfszenen zwischen zwei oder mehr Männern sind selten. 

Auffällig viele Linien und symbolhafte Darstellungen sind auf den Steinen zu sehen, so etwa die „Brille“ (zwei kleinere Kreise mit einem Strich verbunden), deren Bedeutung wir nicht kennen. Schlangenlinien können Wege oder Flüsse andeuten, Zickzacklinien Gebirge.

Zwischen den Bildern der zahllosen Felskunststätten Zentralasiens gibt es enge inhaltliche und stilistische Beziehungen. Die Erforschung der vorzeitlichen Bildersprache dieser riesigen Region steckt jedoch noch in den Kinderschuhen, da die meisten Bilder kaum dokumentiert und publiziert sind und so ein Gesamtbild der Forschung nicht zur Verfügung steht. 

Die zum Teil über 4000 Jahre alten Felsbilder von Saimaluu Tash spielen heute eine große identitätsstiftende Rolle für viele Kirgisen. Der „Sonnengott von Saimaluu Tash“ taucht auf Briefmarken, Münzen, Bechertassen, T-Shirts oder auf modernen Gemälden, Keramik und anderen Kunstgegenständen auf. Der bekannte kirgisische Künstler Jumagul Tashiev, geb. 1956 gibt den alten Petroglyphen in seiner Keramik ein neues Leben.

Literatur (gedruckt)

Johannes Reckel: Alte Felsbilder in den Hochgebirgen Kirgistans – Saimaluu Tash, Zhaltyrak Tash, Chiyim Tash (Text deutsch und englisch); Göttinger Verlag der Kunst, 2023

Johannes Reckel, Merle Schatz; Fliegende Hirsche und Sonnengötter – Praehistorische Gesellschaften in Felsbildern Zentralasiens (Text deutsch und englisch), Darmstadt, Nünnerich-Asmus Verlag 2022

Dyaduchenko, Leonid B. (project ed. Kadyrov, V.); Kyrgyzstan – Mystic Saimaluu Tash/ Kyrgyzstan – Zagadočnyj Sajmaluu-Taš (Кыргызстан. Загадочный Саймалуу-Таш), Bishkek 2008


Literatur online:

Amanbaeva, B.E., Suleymanova, A.T., Zholdoshev, Ch.M.: Rock Art in Kyrgyzstan; In: Jean Clottes (ed.), Rock Art in Central Asia, ICOMOS Samarkand 2011 (pp. 43-72, 167-172, Karte der Felskunststätten Kirgistans auf S.167) Das Buch ist zur Zeit (20.10.2023) frei im Internet verfügbar: https://openarchive.icomos.org/id/eprint/2647/1/Rock_Art_in_Central_Asia.pdf

Ein weiteres Buch „Petroglyphs of Central Asia“ von K. Tashbayeva et al., Bishkek 2001 ist ebenfalls frei im Internet zu finden: https://unesco-iicas.org/book/63

Zu den Petroglyphen von Saimaluu Tash in russischer Sprache findet sich online: 

Sulaimanova, A.T. (2021); Novye issledovaniya pamyatnika Saimaly-Tash (Kyrgyzstan, Ferganskii khrebet) (New research on the Saimaly Tash monument (Fergana range, Kyrgyzstan)); In: Arkheologiya, Evraziiskikh stepei 6 (2021), 171-185. Сулайманова, А. Т. (2021). Новыы исследования памятника Саймалы Таш (Кыргызстан, Ферганский хревет). Археология Евразийских степей, (6), 171–185. https://doi.org/10.24852/2587-6112.2021.6.171.185