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Architektur ist gebaute Geschichte. Wer mehr als eine alte Mauer, ein seltsames Haus oder eine vielleicht schon etwas ramponierte Fassade sehen will, braucht kulturellen Kontext. In Städten wie Rom, Paris oder Istanbul kennt man den (mehr oder weniger) aus der Schulzeit, dem Fernsehen oder man schaut im Internet nach. Aber in Bischkek? Was vor 150 Jahren eine kleine Lehmfestung am Rande der Welt war, ist heute eine Hauptstadt mit knapp einer Million Einwohnern, die in vier Generationen dreimal den Namen wechselte und in der drei Gesellschaftsordnungen ihre baulichen Spuren hinterließen. Diese Spuren zu lesen, zu verfolgen, einzuordnen ist ohne einen klugen und profunden Guide unmöglich. Und so kommen viele Reisende mit nicht mehr als ein paar Klischees aus der Kapitale Kirgistans zurück:

überall kleine Verkaufsstände, viele Reklametafeln, irgendwie nach Ostblock aussehende in die Jahre gekommene Neubauviertel, dazwischen Zuckerbäckerstil, exotische Ornamentik, Spiegelglasfassaden und ein paar breite Straßen.

Schade drum, denn eigentlich gibt es in dieser jungen zentralasiatischen Metropole wirklich etwas zu entdecken: die Reflexionen der Geschichte der Architektur des 20. Jahrhunderts von Konstruktivismus über Neoklassizismus und Eklektizismus bis zur Postmoderne, gebaut unter den schwierigen Bedingungen einer permanenten Mangelwirtschaft, entstanden im Auf und Ab von Planwirtschaft, sozialistischem Prestige-Denken und zügelloser kapitalistischer Konkurrenz, immer wieder im Bestreben internationale Moderne und lokale Kultur zu etwas Eigenständigem zu vereinen.

Aber nun kann man sich endlich auf eine solche Entdeckungsreise vorbereiten: der soeben von DOM publishers herausgegebene Architekturführer Bischkek gibt eine fundierte und detaillierte Übersicht über die Bauten der Hauptstadt Kirgisiens, eingebettet in die Entwicklungsgeschichte der Stadt, geordnet nach den politischen Etappen und ihren Akteuren, ergänzt um Interviews mit den Menschen, die als Architekten, Stadtplaner oder einfach nur als Einwohner ihre Stadt beschreiben.

Das Buch folgt dem bewährten Schema der DOM Architekturführer: detailliertes Kartenmaterial, viele Fotos, Hintergrundinformationen zu den maßgeblichen Architekten und den politischen Zeitläufen. QR Codes erlauben, individuelle Routen zusammenzustellen und geben die Orientierung auch für einen allein auf sich gestellten Reisenden in der Stadt.

Der Band ist eine wirkliche Pionierarbeit: die Herausgeber Henning Hraban Ramm und Benedikt Viertelhaus haben akribisch vor Ort recherchiert, viele Experten in ihre Darstellungen einbezogen und ein in Umfang und Aktualität einmaliges Bild der Architektur Bischkeks gegeben. Vielen Dank für dieses Buch – es sollte bei keinem im Gepäck fehlen, der sich aufmacht, um Bischkek wirklich zu entdecken.

Architekturführer Bischkek
Herausgegeben von Henning Hraban Ramm und Benedikt Viertelhaus
DOM publishers, Berlin 2016
208 Seiten, 400 Abb., 28 € (D)
ISBN 978-3-86922-408-4 (deutsch)

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