Vor zwei Monaten haben wir den Foto-Band von Gudrun Krippner „Augen-Blicke in Kyrgystan“ vorgestellt. Hier haben wir nun zwei Nachrichten für alle, deren Interesse an diesem Buch geweckt wurde. Zum einen publizieren wir hier eine kleine literarische Skizze von Gudruns erster Reise in den Tienschan. Zum anderen sind wir gerade in der Planung für eine Aitmatov-Lesung am 12. Dezember in Berlin –
organisiert mit freundlicher Unterstützung des Yunus-Emre-Institutsin Berlin. Diese Einrichtung entspricht in etwa dem deutschen Goethe-Institut und unterhät in vielen Ländern Kulturzentren. Sobald die Details fest gelegt sind wird es hier weitere Informationen geben, vielleicht könnt Ihr Euch aber schon heute den Nachmittag des 12. Dezember freihalten.
Weshalb nicht in die Ferne schweifen
von Gudrun Krippner
Auf den Spuren von Dschingis Aitmatov
Morgendliche Geräusche rund um die Jurte wecken mich und veranlassen mich, meine kalte Nasenspitze ein wenig über meinen Deckenberg hinaus zu schieben. Ein Hahn kräht, dicht an der Jurtenwand spektakelt ein Huhn. Neben meinem Ohr sind die Rupfgeräusche und das Schnauben eines grasenden Pferdes zu vernehmen. Axtschläge und kurz darauf das leise Knacken von brennenden Holzspänen und Rauchgeruch verraten die ersten Vorbereitungen zum Frühstück: der Samowar wird angeheizt.
Ich trete aus dem Zelt in die kalte Morgenluft und werde mit einem atemberaubenden Blick über Bergketten hinweg auf den Issyk-Kul belohnt, hinter dessen blau schimmernder Wasserfläche am Horizont die Gipfel weiß verschneiter Vier- und Fünftausender aufragen. Auch der Blick zurück zur Jurte lohnt sich: elfenbeinfarben glänzt das Ergebnis des morgendlichen Hühnerspektakels neben der Jurtenwand im Wermutkraut.
Wir – eine kleine Reitergruppe von fünf Touristen mit kirgisischen Begleitern – haben nach einem verregneten achtstündigen Ritt von Temir Kanat nach Tosor eine außergewöhnlich kalte Nacht verbracht. Aber der klare, sonnige Morgen lässt uns schnell unsere „Eisbeine“ vergessen und weckt Vorfreude auf einen landschaftlich reizvollen Erkundungsritt.. Die meisten von uns hat die Lektüre des bekannten kirgisischen Schriftstellers und ehemaligen russischen Botschafters in Luxemburg, Dschingis Aitmatov, begeistert und hierher geführt.
Unsere Reittour hatte einige Tage zuvor bei Kara Talaa an den Ufern des Issyk-Kul, des „Heißen Sees“, begonnen: An einem sonnigen, warmen Morgen – ein paar Frühaufsteher haben schon ein erfrischendes Bad im Issyk-Kul genommen – besteigen wir unsere kleinen, drahtigen Pferde. Packpferde tragen unser Gepäck, den Rucksack für kleine Notfälle zurren wir am Sattel fest. Wir lernen als erstes, mit „tschy-tschy“ und „drrr“ das Tempo unserer Pferde zu dirigieren. Der Weg führt uns durch das Dorf Kara Talaa. Vollbehangene Aprikosenbäume leuchten aus den Gärten orangerot zu uns herüber.
In fast jedem Garten steht eine Jurte, das Filzzelt, das an das Leben der Kirgisen als Nomaden vor der Sowjetzeit erinnert und immer noch in ihrem Leben eine wichtige Rolle spielt. Wir überqueren einen Wasserlauf und lassen das Dorf hinter uns. Vor uns steigt eine karge steinige Hügellandschaft an, die von den mächtigen Schneegipfeln des Tien-Shan-Gebirges begrenzt wird.
Die Sonne brennt uns im Nacken. Der Duft von Wermut, der unter den Huftritten unserer Pferde entsteht, begleitet uns fast ständig auf unserer Reittour durch Kirgistan. Andere Kräuter wie Minze oder Thymian wecken heimatliche oder provenzalische Erinnerungen. Unerwartet leuchtet uns in dieser ausgedörrten Gegend aus einer Senke saftiges Grün entgegen: hier, am Ufer des Tuura Suu, können Pferd und Reiter rasten und sich stärken. Gegen Abend erreichen wir auf 2200m Höhe eine Hochebene mit wogenden Gräsern und wildem Rittersporn. Die weißen Flecken in der Ferne entpuppen sich als die Jurten von Tuura Suu, die uns für die nächsten Tage aufnehmen sollen. Mit einem „tschy-tschy“ spornen wir noch einmal unsere Pferde an.
Der nächste Vormittag dient der Erkundung zu Pferde. Es geht höher hinauf über Wiesen voll verschiedener Enziane, Astern und Edelweiß, das hier nur von uns Touristen bestaunt wird. Wir treffen auf eine Herde wohlgenährter Stuten, deren Milch vergoren als „Kymys“ getrunken wird, einem wichtigen und geschätzten Bestandteil im Leben der Kirgisen. Vor dem Melken dürfen die Fohlen nur kurz trinken, dann müssen sie den Rest den Menschen überlassen. Wir werden in die Jurte des Hirten eingeladen zu einer Schale – wer es schafft auch mehr – Kymys. Das säuerliche Milchgetränk stößt auf geteilten Anklang, das gereichte Brot, in frische Sahne getaucht, mundet dagegen allen.
Beim Abendessen in der Jurte bekommen wir eine Kostprobe von verschiedenen Gerichten der kirgisischen Küche, wie z.B. den mit Kohl und Hammelfleisch gefüllten „Manty“, zusammen mit unzähligen Schalen von Tee. Beim anschließenden geselligen Teil des Abends macht eine Schale Kymys die Runde. Dabei muss jeder Gast seinen Teil zur Unterhaltung beitragen. Während der sonst schweigsame russische Botanikprofessor aus Bischkek seiner Freude über diese Begegnung mit Naturfreunden aus verschiedenen Ecken der Welt Ausdruck verleiht, kramen wir, die Gäste aus dem Westen, aus unserem Gedächtnis Lieder oder Gedichte hervor. Doch den größten Eindruck hinterlässt der 7-jährige Sohn unseres Gastgebers. Als er aus dem kirgisischen Heldenepos „Manas“ mit einer anrührenden Unbefangenheit eine Passage ausdrucksstark und kraftvoll auswendig vorträgt, sind wir auch ohne Verständnis der kirgisischen Sprache ganz in seinen Bann gezogen.
Ebenso selbstverständlich wie die Verbundenheit mit der heimatlichen Kultur ist die Naturverbundenheit der Kirgisen. Wie mit dem Pferd verwachsen reiten schon die kirgisischen Kinder – manchmal auch zu zweit oder dritt auf einem Pferd – beim Pferde- oder Schafehüten oder auch mal zum Spaß über die weich geschwungenen Hochebenen. Die Sommermonate von Mitte Mai bis Anfang September verbringen sie mit der Familie auf den Weidplätzen in den Bergen, den Dschailoos, wo das fließende Wasser nicht dem Wasserhahn, sondern eiskalt den Gebirgsbächen entspringt und der Tagesablauf noch vom Sonnenlicht bestimmt wird. Diese Nähe zur Natur haben wir Reiter gesucht und auch gefunden.
In den darauf folgenden Tagen reiten wir in mehreren Etappen durch die breiten Gebirgstäler des Tien-Schan. Donnergrollen aus schwarzen Wolkenwänden begleitet uns, doch meint es die Sonne trotzdem fast zu gut mit uns. Kurz vor unserer Ankunft in der nächsten Jurtenstation von Temir Kanat auf 2600m Höhe überrascht uns aber ein heftiger Regenguss, der zusammen mit der Sonne einen prächtigen Regenbogen über die nass glänzenden Granitfelsen zaubert.
Nun haben wir Temir Kanat und Hagel und Regen hinter uns gelassen. An diesem sonnigen Morgen sattelt der Hirte von Tosor seine Pferde für uns, und zwei Stunden später genießen wir fast aus der Vogelperspektive den Blick auf den Issyk-Kul. In allen Himmelsrichtungen sind wir von eindrucksvollen Gebirgsketten umgeben und haben das Gefühl einer unendlichen Weite.
Es sind die Schönheit und Ursprünglichkeit Kirgistans, die wir hautnah erleben können und deren Eindruck uns nicht loslässt. So ist es nicht verwunderlich, dass einige Teilnehmer schon ein zweites und drittes Mal dieses Land besuchen. Auch für mich steht fest, dass ich noch lange nicht alles entdeckt habe.
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